Während der Drucklegung des zu Beginn des Jahres 1926 abgeschlossenen Manuskripts der Einleitung sowie des Ersten und Zweiten Abschnittes von \"Sein und Zeit\" setzt Heidegger die Ausarbeitung des Dritten Abschnittes \"Zeit und Sein\" fort. Doch Ende Dezember 1926 entschließt er sich zum Abbruch dieser ersten Ausarbeitung, um in der Vorlesung des Sommersemesters 1927 unter dem Titel \"Die Grundprobleme der Phänomenologie\" eine \"Neue Ausarbeitung des 3. Abschnittes des I. Teiles von `Sein und Zeit´\" in Angriff zu nehmen.
Der \"Gesamtbestand der Grundprobleme der Phänomenologie in ihrer Systematik und Begründung\" besteht in der \"Diskussion der Grundfrage nach dem Sinn von Sein überhaupt und der aus ihr entspringenden Probleme\". Die so gekennzeichnete Thematik von \"Zeit und Sein\" wird jedoch im Unterschied zur verworfenen ersten Ausarbeitung nicht auf dem direkten Weg, somit nicht im direkten Anschluß an den Zweiten Abschnitt \"Dasein und Zeitlichkeit\", sondern auf dem \"Umweg\" einer phänomenologischen Erörterung von vier geschichtlichen Thesen über das Sein behandelt (Erster Teil). Die phänomenologisch-kritische Diskussion dieser Thesen führt zu der Einsicht, daß allem zuvor die Grundfrage nach dem Sinn von Sein überhaupt beantwortet sein muß, um die aus den vier geschichtlichen Thesen herausgeschälten vier Grundprobleme in zureichender Weise ausarbeiten zu können.
Die systematische Behandlung der Grundfrage und der aus ihr entspringenden vier Grundprobleme ist unter dem Titel \"Die fundamentalontologische Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt. Die Grundstrukturen und Grundweisen des Seins\" das Thema des Zweiten Teiles der Vorlesung. Der These Kants, Sein sei kein reales Prädikat, entspricht in der Radikalisierung das erste Grundproblem, die ontologische Differenz. Der auf Aristoteles zurückgehenden These der mittelalterlichen Ontologie, zum Sein eines Seienden gehören das Wassein (essentia) und das Wirklichsein (existentia), korrespondiert, ursprünglicher gefaßt, das zweite Grundproblem, die Grundartikulation des Seins in Was-sein (Werheit des Daseins) und Wie-sein. Die These der neuzeitlichen Ontologie, die Grundweisen des Seins seien das Sein des Geistes (res cogitans) und das Sein der Natur (res extensa), führt, radikaler gedacht, zum dritten Grundproblem, den möglichen Modifikationen des Seins und der Einheit seiner Vielfältigkeit. Aus der These der Logik über das Sein der Kopula wird in ursprünglicherer Erfahrung das vierte Grundproblem, der Wahrheitscharakter des Seins, herausgeschält.
Das erste Kapitel des Zweiten Teiles übernimmt die Ausarbeitung zweier Aufgaben, deren erste die Beantwortung der Fundamentalfrage durch die phänomenologische Entfaltung der Zeit als Horizont für das Verstehen von Sein (Temporalität des Seins) aus der ekstatischen Zeitlichkeit des Daseins ist. Die Auflösung dieser entscheidenden ersten Aufgabe erfolgt in der Weise, wie sie in den §§ 5 und 83 von \"Sein und Zeit\" formal angezeigt wird. Die zweite Aufgabe des ersten Kapitels ist die systematische Behandlung des ersten Grundproblems, der ontologischen Differenz, der Unterscheidung von Sein und Seiendem. Erst wenn gezeigt ist, wie Sein von Seiendem unterschieden ist, kann die Grundartikulation im Sein selbst, die Gliederung in Was- sein und Wie-sein, thematisiert werden, können die Modifikationen des Wie-seins (Existenz, Mitdasein, Zuhandenheit, Vorhandenheit, Leben, Bestand) systematisch erörtert werden und kann schließlich der dem Sein als solchem in seiner Grundartikulation und in seinen möglichen Modifikationen eigene Wahrheitscharakter (die Erschlossenheit als Wahrheit des Seins) unter- sucht werden.
Wer \"Sein und Zeit\" als einen Weg zur Ausarbeitung der Seinsfrage überhaupt als dem Ziel studiert, bleibt auf \"Die Grundprobleme der Phänomenologie\" verwiesen.